Kunst, Kultur, Kassel

Just als das miese Wetter verlässlich ganz Deutschland im Griff hat, brechen wir auf nach Kassel. Dirk hat einen Auftritt, es ist Documenta und wir besuchen (Nichte) Anaïs und Jan. Es ist eine haarsträubend schlimme Staufahrt von Baustelle zu Baustelle bis zum kompletten Stillstand bei Göttingen. Daher schaffen wir das Abendticket schlechtgelaunt (also ich) nur fast rechtzeitig und flüchten sogleich ins Fridericianum.

Zugegeben, wir lassen nicht allen Exponaten so richtig Zeit, uns zu überzeugen, aber man kann wirklich prompt den allerseits gleichlautenden Kritiken Recht geben: sofort verständlich ist so manches nicht, was hier ausgestellt wird. Und die Faltzettelchen helfen tatsächlich gar nicht, der Sache näher zu kommen, Format und Material ist das einzige, was auch der ungeübte Laie noch wahrnehmen kann.

Ich bin für den Erklärzwang von Künstlern zu ihrem Kunstwerk, 140 Zeichen wären Pflicht, soviel Zeit mögen sie sich nehmen, mir zu erläutern, WARUM oder wofür sie das gemacht haben. Klar, ich kann mir auch den Katalog kaufen und ein paar Wochen vorher anfangen, mich in die Vita jedes Künstlers einzulesen, aber ich finde, das Verfassen von 140 Zeichen gegen Eintrittsgeld und interessierte Präsenz am Kunstwerk wäre ein fairer Tausch.

Husch noch rüber in die Documenta-Halle, in einer halben Stunde macht alles zu. (Warum eigentlich schon um 8?)

Hier verblüfft so einiges noch mehr als drüben, aber irgendwie hat es teils auch mehr Humor. Und die Masken sind toll. Im Laufschritt nimmt es sich auch in jeder Hinsicht leichter wahr. Außerdem ist das Stick-Kunstwerk der Knaller. Und außer-außerdem will ich gar nicht maulen, ich bin freiwillig hier, weil ich das alles mag, ich finde Kunst lebensnotwendig und sie soll bleiben. Und auch wenn ich nicht alles relevant und nachvollziehbar finde, soll und wird das die Welt retten.

Dirk findet, man hätte die Fluchtpläne in der Haupthalle noch integrieren sollen – aber so viel Humor hat dann doch niemand. Nebendran hängt die Erklärung des Kunstwerks zur Flucht. Ohne Plan. Also schon, aber anders.

Und dann wird da noch dieser afrikanische Sänger gefeatured, haben nicht rausgefunden, warum, aber mittels munterem Mix zwischen VHS-Ausstellung und Flohmarkt.

Noch geschwind in die Röhren gucken und dann auf zum Sushi nach Harleshausen zu Anaïs und Jan.

Wir sind der dritte Verwandtschaftsbesuch in Folge, entsprechend routiniert sind die beiden als Gastgeber. Es gibt Spiel, Spannung und was zum Naschen, will heißen wir machen zum Auftakt unser Sushi selbst. Also, um korrekt zu sein, Anaïs hat's eingekauft, Dirk rollt's, Jan kümmert sich um die Getränke und ich mich um den Verzehr.

Morgens wird mit Käseplatte nachgelegt, wir müssen auch nichts machen außer essen. Dann muss Dirk zum Soundcheck und Jan in die City, will heißen, Nichte & Tante machen sich in ihrem Tempo (= ziemlich langsam) für den nächsten Documenta- und Kulturkontakt bereit. Kurz vor Abendticket schaffen wir es in die Stadt.

Das Wetter ist nun auch gnädig und selfieschießend (ein Umstand, der mit Anaïs nicht zu verhindern ist, zweiter Funsport: Fotobombing) gondeln wir durch die Innenstadt, laufen Dirks Eltern in die Arme, die für den abendlichen Hippie-Autritt angereist sind, trinken Kaffee mit ihnen, mäandern durch die Karlsaue, besteigen die Weinterrassen, trödeln um die Exponate herum und landen schlussendlich im Hippie-Konzert-Zelt. Backstage treffen wir uns dann alle wieder und schmarotzen uns durchs Büffet.

Mein Highlight übrigens – kunsttechnisch: die Ausstellung "Luther und die Avantgarde" in der Karlskirche. Hat nichts mit der Documenta zu tun, sondern mit dem Luther-Jubiläum, ist nur zufällig zeitgleich und hat mich am meisten berührt (vor allem die zurückgelassenen Dinge auf den Fluchtbooten). Was ich NICHT auf meine protestantische Erziehung zurückführe.

Noch einen Kuchen im Pressezentrum, dann schlendern wir rüber zum Kulturzelt, in dem die Hippies bereits einzählen. Übrigens auch unabhängig der Documenta, sie werden jedes Jahr zum Abschluss des Kassler Kultursommers gebucht.

Und auch DAS gibt's nur in Kassel: ein völlig leeres Parkhaus (bis auf Rambo), vor Mitternacht, Innenstadt, August, an einem Samstag, während der Documenta.

Mit Selfiegewitter und Drinks in Flamingogläsern beenden wir den Tag, Jan hat extra ne Runde Hawaiihemden dafür spendiert.

Ein Kommentar bei „Kunst, Kultur, Kassel“

  1. Sehr schöne Gruppen selfies!

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