Hoch über La Spezia

Unser Navi ist sich sicher, wir sollen nach dem kilometerlangen Anstieg über unübersichtliche, kleine, lausige Serpentinen jetzt in den steilen Feldweg einbiegen. Vergiss es mein Freund, noch sind wir nicht wagemutig oder verzweifelt genug, um das zu tun. Diese Kehrtwende bedeutet heute schon das zweite Mal, dass es nicht weiter geht.

Wir wollen zu einem Agriturismo oberhalb der Cinque Terre in Ligurien. Und wenn man die Autostrada meidet, bleibt mehr für kulinarische Einkäufe übrig (die Maut ist lachhaft teuer) und man sieht mehr vom Land. Die dreieinhalb Stunden Fahrzeit für 150 km hätten uns stutzig machen können (siehe Kroatien), aber manchmal muss man böse Vorzeichen geflissentlich ignorieren, no risk no fun, gell.

Der Pass, den wir 17 km vorm Ziel überqueren sollen, ist gesperrt, so was in der Art stand zwar auch auf dem Schild im letzten Ort, aber die Option, den ganzen Weg davor wieder zurück zu müssen, war in diesem Falle noch entmutigender. Eine alternative Route endet auf der Rückseite einer Dorfkirche am Ende der Welt mit einem fantastischen Blick in die Berge, in die wir wollen, aber nicht können.

Ziegen spurten glockenbimmelnd über die Straße und es ist so lieblich, dass die Laune nicht ins Bodenlose sinkt. Dann geht es zurück über die schmalen Serpentinen und zähneknirschend biegen wir auf die Autostrada ein, sie ist laut Navi die einzige Strecke, die uns nun noch ans Ziel bringen kann. Wir sind seit 6 Stunden am Fahren, es dämmert, während wir eine halbe Stunde später die nächsten Serpentinen hinaufkurven. Schließlich stehen wir am oben erwähnten, laut Adresse korrekten Feldweg und bezweifeln, dass die Koordinaten für den im Fattore Amico ausgesuchten Stellplatz auch nur annähernd richtig sind. Ein Hauch von Demütigung und Kapitulation liegt in der Luft, zudem ist es nun dunkel, ein Viertelstündchen weiter unten war das letzte Dorf, zur Not stellen wir uns da irgendwo hin.

Unten angekommen, während wir noch Karten studieren und beratschlagen, was zu tun sei, hält ein Wagen neben uns. Eine zierliche kleine Frau mit Wuschelkopf, die klingt wie eine Italienerin, die sehr gut englisch spricht, fragt, ob sie helfen könne. Es stellt sich heraus, dass sie und ihr Mann aus Schottland eingewandert sind und jetzt eine kleine Farm betreiben (also Schottin mit italienischem Akzent) und sie eigentlich Krankenschwester ist und ihr Mann bei der Royal Navy war, eine Pension erhält, von der sie seit 8 Jahren in Italien leben und nein, sie wisse auch nicht, wo der Hof sein soll. Aber halt, da, eine Bekannte führt zufällig ihren Hund aus, die könne sie mal fragen – die Bekannte wiederum glaubt zu wissen, wo wir hin müssen.

Wir sollen links neben der Kirche hoch, dann rechts an der Bar vorbei, dort nochmal fragen und dann ... ach eigentlich sei es zu kompliziert, den Weg zu erklären, sie würden einfach vorfahren. Gesagt getan, es geht auf der anderen Seite wieder neue Serpentinen hoch, dann links ein Abzweig ohne Schild und wieder scharf rechts in einen Schotterweg und dann noch mal drei Kilometer durch die Walachei. Der Weg endet vor einem riesigen schmiedeeisernen Tor. Niemand antwortet über die Gegensprechanlage und da das Tor nur provisorisch verschlossen ist, beschließen Monica und Stan, so heißen die Beiden, dass dies Einladung genug sei und fahren die Auffahrt hinauf. Am Haus wird schnell ein verstörter Arbeiter aus dem Schlaf gerissen, der so verdattert ist und womöglich auch Monica nicht genau versteht, so dass er zu allem ja und Amen sagt, und bald darauf erscheint auch noch die für die Zimmer zuständige (das Missverständnis, dass wir kein Zimmer suchen, mussten wir auch noch aufklären) sehr müde Mitarbeiterin mit der Chefin am Handy, welche gerade in La Spezia ist und es klingt wie wildes Gezeter, aber es stellt sich heraus, dass wir schon lange abgehakt sind (es ist nur ein Camper) und es jetzt um die Hühner geht.

Schlussendlich sind alle froh: wir, dass wir einen Schlafplatz haben, Monica und Stan, dass sie helfen konnten, die Mitarbeiterin, dass das Telefonat endlich vorbei ist und der Arbeiter, dass er wieder ins Bett kann. Elle wirft noch eine Blick ums Eck, ein Stückchen den Feldweg entlang hinterm Haus kann man La Spezia und das Meer sehen, die Luft ist klar und duftet nach Kräutern, und Schafe oder Ziegen oder Beides bimmeln leise über die Wiesen.

Fattore Amico sagt zu diesem Stellplatz übrigens: einfach der Beschilderung folgen. Sehr lustig.

Längst versöhnt mit der strapaziösen Anreise lassen wir uns in den Schlaf läuten und wachen mit Sonne im Gesicht auf. Und was für ein Ausblick.

P.S. Als wir abreisen, ist der Arbeiter gerade dabei, ein Huhn zu rupfen.

P.P. S. Ich muss gerade an das Lied "Whatˋs so funny about Peace, Love and Understanding" denken. Das Lied ist von 1974 (7 Jahre nach dem Summer of Love), schon damals wurde diesen Attributen eine gewisse Weltfremdheit attestiert. Was also ist so funny about, dass man sich immer etwas naiv fühlt, wenn man Hilfsbereitschaft, Mitgefühl und Solidarität im Umgang miteinander als den Normalfall ansieht. Begegnungen wie diese lassen mich jedenfalls wieder hoffen. Wahlausgang hin, Wahlausgang her.

Ein Kommentar bei „Hoch über La Spezia“

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