Der Boutique-Inhaber wittert Gleichgesinnte und mit flinken Strichen markiert er auf unserem Stadtplan alles, was wir uns anschauen sollen. Da ich bei solch unerwarteten Querverknüpfungen stets kosmische Kräfte walten sehe und die Distanzen überschaubar sind, stehen wir kurze Zeit später vor dem Centre del Carme. Hier hat Okuda San Miguel – einer der bekanntesten zeitgenössischen Künstler, von dem wir noch nie was gehört haben – einen kompletten Flügel des ehemaligen Klosters gestaltet.
Apropos, Sätze wie: ihr wart doch in ..., da habt ihr doch sicher das Atelier von ..., das Geburtshaus von, das Museum soundso, die berühmte Ausstellung von, das Schloss, die Kathedrale, den weltbekannten Park, Weltkulturerbe, älteste erhaltene, da kommen extra Leute aus New York ... angesehen? hören wir öfter. Nö, waren wir nicht und haben wir nicht. Nicht das Dali Museum in Figueres, nicht das Musée Fabre in Montpellier, nicht das Steinzeitdorf im Ötztal, den Fossiliensteinbruch im Altmühltal, den Isenheimer Altar in Colmar, die Niki de Saint Halle in ihrem Tarot-Garten Capalbio in Sienna und leider auch nicht den Nachbau der Chauvet-Höhle in der Ardèche mit ihren 30.000 Jahre alten prähistorischen Höhlenzeichnungen, den frühesten Beispielen menschlicher Kunst. Die Schlucht vorn Verdon haben wir ohne es zu bemerken durchquert und einen Bunker der Marginotlinie auf dem Weg zur Tankstelle passiert.
Ich würde nicht sagen, dass wir ignorant oder uninteressiert sind (wobei Elle nur in Museen möchte, wo man sitzen kann, wegen der einschläfernden Wirkung, die Sammlungen alter Gegenstände auf sie haben). Vermutlich ist es, weil wir gern keine urlaubstypischen Dinge tun und uns somit auch den Luxus des nicht-Hingehens leisten. Oder uns der Gedanke oder vielmehr das Gefühl reizt, auf Reisen Dinge nicht zu (be)suchen, sondern finden zu wollen, authentisch, unerschlossen, unkuratiert. Wie bei "Viele Lichtjahre von der Erde entfernt dringt die Enterprise in Galaxien vor, die nie ein Mensch zuvor gesehen hat." Hier beißt sich die Katze allerdings in den Schwanz, weil es keine weißen Flecken auf der Landkarte mehr gibt (jedenfalls in Europa), weder kulturell, architektonisch, noch landschaftlich und wir auch gar nicht ausgerüstet wären, um solche Orte zu besuchen. Spätestens die weißen Feuchttücher in jedem noch so menschenleer scheinenden Winkel sind sichtbare Zeichen des fröhlichen Selbstbetrugs.
Nichtsdestotrotz haben wir beschlossen, irgendwann auf einer Reise ausschließlich diese Orte abzuklappern.
Die Ausstellung ist übrigens klasse, auch weil wir keine Erwartungen haben, was wiederum der Vorteil ist, wenn man sich nicht vorbereitet. (Und in Montpellier habe ich dafür eine Jacke mit Drachenstickerei gefunden, wie ich sie schon immer haben wollte.)