Gestern spielten wir in Marienwerder auf dem Inselleuchten. Ein familiäres Festival "für Erwachsene", wie das Motto verspricht. Es findet statt auf der reich mit Lampen und flirrender Deko geschmückten Insel an der Schleuse Leesenbrück. Schirmherr ist Tatort Lieblingskommissar Axel Prahl, den ich bei den Dreharbeiten zum Film Halbe Treppe kennenlernte, zu dem die 17 Hippies die Filmmusik beisteuerten. Die Besucher sind aus dem Umland und Berlin, alle fortgeschrittenen Alters und kennen sich zumeist untereinander. Wieder gibt es einen Sturm und ein abgebrochener Ast schlägt in die Lautsprecheranlage. Wieder muss ich daran denken, dass Ödön von Horváth zeitlebens Angst hatte, von einem Ast erschlagen zu werden – nicht unbegründet, denn 1938 in Paris auf dem Champs-Élysées passierte ihm dann genau dies. Das wiederum weiß ich nur, weil wir bei einem seiner Stücke am Deutschen Theater Berlin mitspielten, unter der Regie von Andreas Dresen, der auch bei Halbe Treppe Regie führte. Destinies entwined – Verflochtene Schicksale, mein Lieblingsstück vom neuen Album der Waterboys ;-). Assoziatives Mäandern – eine meiner Lieblingsbeschäftigungen.
Mach ich also gleich weiter:
Vor etlichen Jahren spielte ich ein Konzert zwischen Heuballen auf einer Farm in Texas in der Nähe von Austin. Auch sehr familiär. Die Besucher waren ausnahmslos Freunde und Nachbarn des Besitzers mit mächtigen Cowboyhüten auf dem Kopf und Videokameras (damals noch sehr klobig) auf den Schultern. Ein frisch geschossenes Reh wurde gegrillt, alle aus der Band bekamen John Deere Schirmmützen geschenkt und da in dieser Gegend praktisch jeder deutsche Vorfahren hat, wurden wir – nach anfänglichem Beschnuppern – sehr herzlich wie entfernte Verwandte empfangen.
Irgendwem fiel auf, dass keine Schwarzen anwesend waren, woraufhin man ganz selbstverständlich entgegnete, dass man nichts gegen Schwarze habe, aber eben nicht hier.
Welcher Eindruck bleibt nach einer Woche Mecklenburg und Uckermark?
Irritation mit der Bitte um Erklärung, würde ich sagen.
Mindestens dreimal haben wir Kontakt mit Menschen mit einschlägigen Tattoos und Landserhaarschnitt, die uns entweder hilfsbereit den Weg weisen, auf dem Aussichtspunkt ungefragt ihren Platz auf der Bank anbieten oder unbekümmert beim EM Spiel inmitten von Besuchern aller Couleur mit einer fetten 88 auf dem Hals und Störkraft-Shirt mit uns Bratwurst essen. Selbst der kleine Autokorso, der nach Spielgewinn auf dem Parkplatz vorm Shoppingcenter seine Runden dreht, taugt nicht als Bild für deutsche Allmachtsträume.
Ist das Folklore? Trägt man das hier so wie anderswo AC/DC Shirts? Oder würde man zu einer anderen Tageszeit oder mit asiatischer Herkunft eins übergezogen kriegen? Wir sind augenscheinlich nicht von hier und auf einem am Jägerzaun hängenden Schild wird Erich Honecker dafür gedankt, dass er "uns" (also ihnen) 30 Jahre lang die "Wessis" vom Leib gehalten habe (leider kein Foto, das Grundstück hatte übrigens auch noch eine eigene Landesgrenze). Stimmen die milden Tage die Menschen milde, sind wir es nicht wert, eins auf die Fresse zu kriegen? Und wie geht man damit um, dass man freundliche Faschos sympathisch findet, genauso wie die Farmer in Texas?
Ach, und unbedingt schauen: die Film-Doku Deutschboden, die die ganze Thematik wunderbar beleuchtet. Ein Freund von Elle, der in der Nähe von Zehdenick lebt (dort spielt der Film), kennt die Protagonisten, weil sie bei ihm das Haus mitgemauert haben. Seine Mutter stammt von der Oberhavel, sein Vater aus dem Libanon und er ist besten vertraut mit den verwirrenden Verflechtungen der Gegend. Beim Spaziergang erzählt er von Höfen in der Umgebung, die jetzt völkisch-ökologisch betrieben werden und dass man zum ersten mal seit Jahren wieder im Südlibanon Urlaub machen könne, weil alle Kämpfer in Syrien seien – aber das ist eine andere Verwirrung.
Hier noch ein Zitat im Zitat von Robert F. Kennedy:
"There is a chinese curse which says, ‘May he live in interesting times.’ Like it or not, we live in interesting times ..."
("Es gibt einen chinesischen Fluch, der da lautet: 'Möge er in interessanten Zeiten leben!' Ob wir es wollen oder nicht – wir leben in interessanten Zeiten ...")
Fürs erste sind wir übereingekommen, dass der Impuls, freundliche Menschen nett zu finden, kein schlechter ist, muss halt ab und an überprüft werden.