Sollte sich jemand fragen, wann wir eigentlich in Lissabon ankommen, wir wissen es auch nicht. Irgendwie kommt es noch nicht dazu. Heute zB soll das Wetter noch einmal kaiserlich sein und da sind wir lieber in der Natur als in der Stadt. Außerdem haben wir noch keine Lust, uns um Unterkunft oder Stellplatz in der Hauptstadt zu kümmern, da Lissabon gleichzeitig auch den Abschied vom Südwesten einläutet und dazu sind wir noch nicht bereit.
Der anvisierte Platz ist aus dem Stegreif gewählt und der Morgennebel auf der Hinfahrt zwar wunderschön und verwunschen, aber ich bin nicht sicher, wie es aussieht, wenn er sich verzogen hat.
R. Primeiro de Maio
Santa Susana
Die Anfahrt erfolgt über den kleinen Ort Santa Susana auf einer etwa 1 km langen schnurgeraden Straße. Diese führt leicht aufwärts, oben am Scheitelpunkt liegt der Eingang zum Seegelände. Da man von unten keine Einsicht hat, bleibt es erst mal spannend.
Und dann: ein Winnetou-Old-Shatterhand-Moment. Wie die Beiden auf Iltchi und Hatatitla (wieso kenne ich die Namen ihrer Pferde?) reiten auch wir bei Sonnenaufgang hinein in die unendliche Weite der Prärie, während im Hintergrund die Titelmelodie (geschrieben von Martin Böttcher, jetzt dazu hören) spielt. Pathetisch und dick aufgetragen? Unbedingt, aber dieser Anblick verdient Applaus. Vor uns öffnet sich eine weite, leicht gewellte Ebene und mittendrin liegt ein funkelnder See, beschienen von der noch tief stehenden Morgensonne.
Statt den Zelten eines Apachen-Dorfes stehen vereinzelt Wohnmobile auf dem riesigen Gelände, aber so früh ist noch niemand wach und so suchen wir uns geschwind einen Platz, um die Ruhe des Augenblicks nicht zu stören.
Also fast schnell – ihr kennt das ja bereits ... Der erste Platz ist zu exponiert, beim zweiten stehen wir zu schräg, beim dritten hat jemand seinen Abfall nicht weggeräumt, der vierte aber ist perfekt, wir stehen auf einem Hügel im hinteren Bereich, hier macht der See einen Knick und unten rechts versickert ein Seitenarm, und jetzt sind auch endlich alle wach.
Der See, ein Stausee, führt gerade wenig Wasser und ist an einigen Stellen sehr flach. An einer dieser Stellen, genau in unserem Blickfeld, steht ein Reiher im Wasser und sieht einfach gut aus. Er tut das äußerst ausdauernd, um ihn herum paddeln Enten und geben sich geschäftig, während im Seitenarm Karpfen, deren Rücken aus dem Wasser ragen, durch den Schlamm pflügen.
Dass dies hier alles künstlich angelegt ist und wir, wie man an den vielen Fladen erkennt, auf einem Gelände stehen, was wohl eigentlich als Kuhweide dient, können wir völlig ignorieren. Den unschönen Picknick-Müll (wieso tun Menschen das?) sammeln wir auch noch auf, dann ist es kurz nach 9 und Tag 1 auf den Great Plains kann beginnen.
Es ist angenehm, um diese Jahreszeit hier zu reisen. Heute beispielsweise wohnt der nächste Nachbar fast außer Sichtweite und obwohl die Sonne den ganzen Tag scheint, wird es nie zu heiß. Es hat einfach die perfekte Temperatur, bei der man sich um nichts kümmern muss. Die tiefstehende Novembersonne verstärkt Farben und Konturen und als es um 6 Uhr dämmert, übernimmt der fast volle Mond das Kommando. Genaugenommen wird es gar nicht richtig dunkel, es ändern sich nur die Farben – von goldgelb zu silber. Die Fische, die am Nachmittag anfingen, aus dem Wasser zu schnellen, um Insekten zu fangen, hört man noch die ganze Nacht springen und zu diesem Geräusch schlafen wir ein.
Am nächsten Morgen liegt dichter Nebel über dem See, der langsam aufsteigend den Reiher vom Vortag freigibt, welcher wieder seinen Posten auf der Sandbank eingenommen hat, und auch die Karpfen schnorcheln bereits durch's seichte Wasser. Es gibt Konzerte, die sind so stimmig, dass alles gesagt ist und es keine Zugabe braucht – so ähnlich ist es hier auch. Die letzten 24 Stunden waren derart einmalig, dass wir gegen Mittag beschließen, zu fahren. Es gibt dem hier gerade nichts hinzuzufügen.
Wow, das sieht ja nach einem äußerst gelungenen Stellplatz aus. Und der passenden Stimmung dazu.
Jep, unser Favorit so far!