Die kleine Wanderung, die wir uns als Zwischenetappe auf dem Weg in den Gargano raussuchen, ist irgendwo hier im südlichen Cilento. Im nahen Küstenstädtchen Scario nehmen wir den Sonntagsvormittagskaffee auf der schicken Promenade, dann geht es in die Hügel nach Casaletto Spartano.
Die Capelli di Venere, Venus' Haare, sind leider etwas ausgetrocknet, der angepriesene Fußweg ist eine fade Tour ohne Quellkontakt und Blick, aber das Wasser an den Hähnen sprudelt und schmeckt hervorragend.
Mit dem Venus-Wasser im Gepäck erreichen wir am Spätnachmittag den nächsten Übernachtungsplatz in Padula – immer noch Kampanien. Es war uns nicht bewusst, welches kulturelle Highlight die Nachbarschaft unserer Unterkunft bereit hält, aber wir werden bei Ankunft sofort aufgeklärt.
UNESCO Welterbe – bei dem Begriff bin ich immer kurz vorm Salutieren, denn den Gedanken, dass Dinge oder Orte für die gesamte Menschheit wichtig und zu bewahren sind, finde ich richtig und überaus sympathisch. Sympathisch finde ich auch, dass man nicht immer auf den ersten Blick erkennt, warum es sich um ein Welterbe handelt. Jedenfalls wedelt uns der Besitzer des Stellplatzes schon beim Einparken mit einem Plan entgegen und drängt, wir sollen uns beeilen, denn heute wäre der erste Sonntag im Monat und da sei der Besuch der weltberühmten KARTAUSE VON PADULA kostenlos. Ziemlich cool, denn erstens hätten wir nicht gewusst, dass nur 300 m entfernt ein Welterbe steht und zweitens rufen Sonntagnachmittage (bei mir) so lange ich denken kann, eine unangenehme Sonntagnachmittagsverstimmung hervor, darum ist ein wenig fußläufige Zerstreuung und Horizonterweiterung hoch willkommen.
Die Kartause des heiligen Laurenzo di Padula wurde 1306 gegründet und über vier Jahrhunderte lang erweitert und ausgeschmückt, bis sie eine Gesamtfläche von über 50.000 qm erreichte. "Kartause" heißen alle Klöster des Kartäuserordens, benannt nach dem Gründungsort Chartreuse in Frankreich. Sie werden nach dem immer gleichen Prinzip angelegt, geteilt in ein "domus inferior" und ein "domus alta". Im letzteren leben die Mönche in Klausur, das domus inferior ist der Bereich des Klosters, in dem Laien leben, Gäste empfangen werden und die Wirtschaftsräume liegen.
Der Orden wurde 1084 gegründet und ist einer der wenigen, der bis heute unverändert seine Ursprünglichkeit bewahrt hat. Nie gab es eine Reform, eine Veränderung der puristischen und asketischen Lehre war nie für nötig erachtet worden. Die Annahme, dass das Gebet (und nur das Gebet) prinzipiell alle Menschen näher zu Gott bringt, führte zu einer Unterscheidung der Mönche in "Priestermönche", die sich der Welt entziehen und ihr Leben ausschließlich dem Gebet und damit dem Wohl der Menschheit widmen und "Brudermönche", welche die Priestermönche versorgen und den Alltag organisieren. Der Orden hatte im Mittelalter eine hohe Anziehungskraft, versprach er doch hohe Integrität und maximale spirituelle Kraft, zudem konnte er sich großer Zuwendungen erfreuen. Der Widerspruch von Askese und barocker Üppigkeit (wenn auch korrodiert) ist auch in den Bauten hier erleb- und sichtbar. 1806 wurde die Kartause von napoleonischen Truppen geplündert und 1866 endgültig aufgelöst.
Vor dem Haupteingang über der Straße liegt eine Art Allee, diese ist an beiden Seiten modern bebaut und ein unverputztes Haus hat so irritierend wie verbrecherisch einen alten Rundbogen okkupiert, dass man nur staunen kann.
Hinter dem Haupteingang öffnet sich ein großer rechteckiger Hof, auf der gegenüberliegenden Seite befindet sich der Eingang zum eigentlichen Kloster.
Rechter Hand ist ein ehemals reich verzierter Brunnen in die Mauern eingelassen. Im unteren Bereich befinden sich zwei – auch nur ehemals – wasserspeiende Löwen, deren fehlende Köpfe provisorisch kugelig verputzt wurden, aus deren Mitte jeweils ein Rohr ragt, was außerordentlich außerirdisch wirkt.
In den Gebäuden gegenüber haben sich zwei Nippesläden und zwei Bars eingerichtet, die – obwohl bestimmt schon lange da – seltsam improvisiert daher kommen und man sich ob ihrer Zwillingshaftigkeit fragt, warum zwei? Aber freundlich und emsig buhlen alle nebeneinander persönlich vor ihren Läden um Kundschaft.
Schön, dass es bei den UNESCO Welterbestätten nicht immer nur um die Erhaltung der Materie geht, sondern der Bedeutung im soziokulturellen Sinne ein ebenso großer Stellenwert beibemessen wird.
Das Kloster selbst ist sehenswert, reich an Jahrhunderte altem Bestand in dauerndem Umbruch und man kann gut zwei kurzweilige Stunden verbringen. Es gibt den größten Kreuzgang (Flash laden, auf Vollbild klicken und Ton an) der Welt, von dem die zweistöckigen Zellen mit kleinem Garten abgehen und im hinteren Teil eine mächtige Halle mit einer barocken Freitreppe, die nirgendwo hinführt, als Sinnbild für etwas, auf das ich gerade nicht mehr komme und dass man eine Menge Geld für Quatsch ausgeben kann. Diese Verschwendung wurde auch schon von Zeitzeugen ironisch kommentiert. Haupteinnahmequelle des Ordens ist übrigens der bekannte Kartäuserlikör Chartreuse, der in einer eigenen Fabrik aus einer Mischung von 130 Kräutern hergestellt wird.
Der Komplex ist von einem großen Garten umgeben, einer schönen Mischung aus kultiviert und zerzaust und es gibt auf dem Gelände verteilt Kunstwerke und Installationen zu bestaunen.
Wieder mal schließt sich uns ein herrenloser Hund an, der ein bisschen Gesellschaft sucht und möchte auch nicht weggehen, selbst als wir das Kloster schon verlassen haben. Aber es hilft ja nichts, arrivederci kleiner Streuner, sei froh, dass du nicht im Zwinger wohnen musst wie der Hund bei unserem Stellplatz, der kurz aus seiner Hütte auftaucht, unendlich traurig einen ausgehöhlten Laib Brot einmal durch den Zwinger trägt und offensichtlich die Hoffnung aufgegeben hat, dass noch jemals jemand mit ihm spielt.