Alles anders an der Ardèche

Das Ende der Unsterblichkeit. Ja gut, ein bisschen dick aufgetragen für die Umstände, aber tatsächlich das erste Mal habe ich eine Ahnung davon.

Das kommt so. Im Überschwang, eine famosen Platz gefunden und die Frau in der Hängematte geparkt zu haben, beschließe ich, noch kurz die Gegend zu erkunden. Die Campingplätze an diesem Abschnitt der Ardèche sind zwar dicht gepackt, aber am Ufer nicht durch Zäune voneinander getrennt, man kann also einfach drauf los marschieren, oder eher kraxeln, denn die Böschung ist einigermaßen uneben und ausgefranst. Nach ein paar hundert Metern könnte man eigentlich umkehren, man hat alles gesehen, aber bis zur nächsten Biegung soll’s eben noch gehen. Eine Quatschidee, denn die Böschung ist übelst schräg und richtig schlecht zu begehen. Also dann, Rückmarsch. Elle hat sich übrigens angeschlossen, ein letztes Mal Bewegen vor dem Festwachsen in der Hängematte.

Dass ich in der Schräge wegrutsche und es mich rücklings die Böschung runterhaut, kriege ich gar nicht mit, nur den Aufschlag und Elles panischen Aufschrei. Okay, okay, alles noch dran, keine Schmerzen, gut, gut, nichts passiert, oder – halt, der linke Ellenbogen ist taub und obwohl er nicht weh tut, knirscht es leider hörbar beim Bewegen. Wenn ich an die fetten Steine denke, an denen ich mir den Schädel hätte einschlagen können, und das Wasser der Ardèche direkt drunter, ist’s aber nochmal glimpflich ausgegangen, au weia.

Wir tapern benommen zurück zum Bus, erst mal eine Schlinge basteln und dann Kriegsrat halten. Reise abbrechen ist keine Option, das kann ich der Frau nicht antun. Ins Krankenhaus fahren auch nicht, schließlich haben wir uns gerade erst mit viel Umstand und Detail eingerichtet und ich, vielmehr Elle, sieht uns schon den restlichen ersten Urlaubstag in der Notaufnahme sitzen.

Das Allerschlimmste für Elle ist jedoch die Vorstellung, nun morgens selbst Kaffee kochen zu müssen*. Gerührt von so viel Mitgefühl, verspreche ich hoch und heilig, koste es was es wolle, das auf jeden Fall hinzukriegen. Jetzt tut zwar jede Bewegung recht weh, aber wenn man den Kocher unter die Achsel klemmt und nicht zu fest zudreht, ist es erträglich. Erstaunlich und erfreulich ist, dass der Bruch in der Schlinge kaum schmerzt. Wir sitzen es also erstmal aus und lassen den Abend mit Weinbegleitung dahindämmern, doch am nächsten Tag raten ein Notfallhelfer und Arzt im Urlaub, ich solle die Sache unbedingt röntgen lassen.

Da ich den Kaffee hinbekommen habe und das nächste Krankenhaus nur 40 Min entfernt ist und ich ein bisschen bettle, brechen wir die Deko ab und auf gen Notaufnahme. Ich hätte ja vermutet, das Wartezimmer ist voll mit Verletzungen ähnlicher Art (Kajakunfälle), aber außer mir sitzt nur eine Kopfverletzung im Wartebereich des schicken Centre Hospitalier Ardèche Méridionale in Aubenas.

Ein hoch auf die EU, als ich nach 10 Min drankomme, geht das Einchecken ratzfatz. Eine Stunde später bin ich geröntgt und mit der Diagnose "glatter Bruch des Radiusköpfchens" wieder draußen. Jetzt noch fix eine Profischlinge in der Apotheke ums Eck besorgen plus einen 50er Pack Ibuprofen 800 und den Arm ruhig halten. Es tut allerdings die ganze Zeit kaum weh.

Auf dem Rückweg gibt's noch einen fetten Eisbecher für die Frau in Lagorce und dann endlich ab in die Hängematte.

* Um den Umstand rund um die Erschütterung bezüglich des Kaffeekochens ein wenig zu erläutern, hier noch eine Anmerkung der Frau, damit sie nicht gar so schlecht wegkommt bei der ganzen Angelegenheit:

Dass ich recht erholungsbedürftig abgereist bin, hatte ich schon erwähnt, daher die flotte Anreise an den vermeintlich langfristigen Aufenthaltsort, um schnellstmöglich in einen Zustand der Ruhe und Regungslosigkeit zu kommen. Beim Einkaufen (für gewünschte 3 Wochen Rumliegen) kurz bevor wir Camping de L'Ile erreichten, bekam ich allerdings den Anruf, dass mein Patenonkel verstorben ist und die Beerdigung in 2 Wochen in Linz sein wird. Da Linz nicht direkt neben Frankreich liegt, war schlagartig klar, dass wir am ersehnten Erholungsort nicht 3 Wochen, sondern maximal 1 bleiben können, damit wir uns rechtzeitig gen Osten hangeln können und dabei nicht nur Autobahn sehen.

Das fand ich schon schwer zu verdauen, den Todesfall, die Verkürzung der Auszeit, bevorstehende häufige Platzwechsel, viel Logistik, viel Fahren, also das Gegenteil des Ersehnten. Und angesichts Dirks Ellenbogens war nun auch klar, dass wir weder Kajak fahren, noch größere Wanderungen machen werden, und ich sicher durchgehend am Steuer sitzen werde. Was ich eigentlich gern mache, so wie auch das notwendige Um- und Aufräumen im Bus, das Sortieren und Finden von Dingen. Nur eins mach ich wirklich gar nicht gern: ... genau. Dass ich kein Morgenmensch bin, ist möglicherweise ja bereits bekannt, zudem ist bei uns im Bus das Kaffeekochen mit einem gewissen Aufwand verbunden. Doch es gibt in unserer Beziehung zu meinem großen Glück das von mir sehr geschätzte Ritual, dass unsere hübsche, aber recht kleine Espressomaschine immer und ausschließlich Dirk bedient. Ich finde es umständlich, mühsam und wäre morgens sowieso nicht in der Lage, all die notwendigen Handgriffe zu tun, die nötig sind, um eine Viertel Tasse heißen Kaffee zu ernten. Lieber fahr ich 2000 km am Stück. Für mich ist am Morgen mit Kaffee versorgt zu werden nicht nur existentiell, um überhaupt in den Tag zu kommen, es ist auch viel mehr als "ich muss es nicht selbst machen", es ist der Inbegriff von Urlaub. Und mit dem Wegfall dieses Rituals ist auf den Schlag der letzte Funken Entspannungsmöglichkeit erloschen.

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