Gut anderthalb Stunden von Berlin Richtung Norden erstreckt sich die Mecklenburgische Seenplatte.
Mecklenburg-Vorpommern (das seit Neuestem in den Medien mit langem e, aber ohne ck gesprochen wird, „Meeklenburg“ oder war das schon immer so?) gehört zu den am dünnsten besiedelten Gegenden Europas, hat aber eine der höchsten Gewässerdichten. Der Zwei Seen Campingplatz liegt direkt zwischen dem Plauener und dem großen Pätschsee. Er ist riesig, verteilt sich aber zwischen Strand, Hügeln und Wald. Wir nehmen einen Platz direkt am Wasser. Es ist 18 Uhr, es hat Abendsonne und es weht eine leichte Brise. High five, abklatschen, alles richtig gemacht.
Unsere Nachbarn sind campingerprobte Schwaben und Ruhrpöttler, alles wie es sein muss. Diesmal haben wir die Moskitonetze dabei, auch von der Seite droht keine Gefahr und es gibt auch keine Flutlichtstellplatzbeleuchtung. Das einzige was leuchtet, ist meine neonorangefarbene Sporthose. Das kriegen auch die klitzekleinen Käfer mit, die es hier auf einmal überall hat und sie fühlen sich magisch angezogen. Innerhalb von Sekunden hängen sie in Scharen an den Hosenbeinen und sie sind gekommen, um zu bleiben. Sie mögen auch mein grünes Shirt und überhaupt alles, was nicht grau oder schwarz ist und so verbringe ich die nächsten Stunden wild fuchtelnd zwischen den Caravans. Außer mir scheint es niemanden zu stören, ja es scheint, als gäbe es für alle anderen keine kleinen schwarzen Käfer. Mit einem grandiosen Wolkenspiel geht die Sonne auf dem See unter und ich verstört ins Bett.
Morgenmuffelig über den Platz strawanzen geht nicht, sofort wird mein hingenuscheltes Moän mit einem extra lauten, extra betonten GUTEN MORGEN sanktioniert. Dieses ordentliche Guten Morgen ist, glaube ich, unter neuen Nachbarn (und auf Campingplätzen ist man ja immer neuer Nachbar) ein Zeichen des guten Willens und der Einvernehmlichkeit … und eine Art Freifahrtsschein – wer deutlich Guten Morgen wünscht, darf auch um halb sieben seine Hecke trimmen. Es macht mich rasend, obwohl der Morgen wirklich gut ist, weil sich die Käfer verspäten und putzige Enten einen Ausflug machen. Zeit, das neue Fahrrad auszuprobieren.
Der Kauf war reine Vernunftentscheidung, denn eigentlich hätte ich am liebsten ein klassisches Rennrad (oder ein Single Speed), aber im Fahrradladen erzählt der Verkäufer lachend von den alten Knackern, die sich Rennräder (oder ein Single Speed) kaufen und dann nach zwei Wochen kreuzlahm vorbei kommen, um sie gegen Tourenräder zu tauschen. Ich lache laut mit und denke „Mist“. An der Wand hängen ganz wunderbare Räder, espressofarben und chromglänzend, aber auch die dürfen es nicht sein, würde ich doch die ganze Nacht wegen akuter Klaugefahr wieder kein Auge zumachen. Am Ende wird es ein Fahrrad.
Da es zufällig orange ist, muss man vorm Aufsteigen erst die Käfer abstreifen – wieder was gelernt für die Outdoor Fibel: NIEMALS signalfarben. Die Fahrradwege sind huckelig und es geht für ein so flaches Land erstaunlich auf und ab und am Ende ist man erstaunt, wie weit man gekommen ist und wie weit man noch nach Hause fahren muss. Das angesagte Gewitter braut sich diesmal wirklich zusammen und als wir zum Platz zurück kommen, langt es gerade noch, zwei Bier zu kaufen und die Heckklappe zu schließen, bevor sich das Unwetter über uns spektakulär entlädt.