Drei Häfen Hattrick

Von Vejers Dünencamp geht es einmal quer durch Dänemark zur Ostküste. Vorher aber noch nach Oksbøl, welches gleich um die Ecke liegt und dessen riesiges Militärareal zum Ende des Wk II als Auffanglager für deutsche Flüchtlinge aus dem Osten diente. Hier hat Elles Pappa gute drei Jahre verbracht, bevor es dann weiter nach München ging. Viel ist nicht mehr übrig von der – man könnte sagen – Kleinstadt, die meisten Gebäude wurden abgerissen, nur noch vereinzelt stehen welche mitten in dem nachgewachsenen wunderschönen Wald. Am Eingang liegt ein Friedhof für die hier Verstorbenen und ein neues Museum für die Geschichte von Flucht und Vertreibung ist gerade im Entstehen.

Eigentlich wollte ich so schnell wie möglich nach Schweden, einfach wegen der Möglichkeit, frei zu campen (was in Dänemark nicht erlaubt ist), und um dem schlechten Wetter davon zu fahren. Das schlechte Wetter ist leider noch schlechter als vorhergesagt und in Schweden auch nicht besser, und Elle ist nicht begeistert von der Idee, weil wir uns dann Dänemark hätten sparen können, recht hat sie.

Nimmt man den Landweg nach Schweden – und das tun wir –, liegt die Insel Møn südöstlich, ungefähr auf halbem Weg zwischen der Storebælt Brücke über den großen Belt und der Öresundbrücke, die Kopenhagen mit Malmö verbindet. Der Campingplatz, den wir ansteuern, hat – man glaubt es nicht – für genau zwei Tage geschlossen, weil ein Musikfestival auf dem Gelände stattfindet. Wir könnten wohl auf dem Parkplatz übernachten und das Festival wäre womöglich lustig, aber der Preis ist dermaßen happig (yes, but Roskilde is more expensive), der Nieselregen lästig und der Kühlschrank (für mein Dafürhalten) zu leer, um zu bleiben.

Im 20 Minuten entfernten Stege könne man einkaufen und am Hafen gegen Gebühr stehen. Beides stimmt. Mittlerweile ist es dunkel, es nieselt immer noch und mehrere Dutzend Hafenmücken haben sich im Bus verteilt. Außerdem ist der verflixte Gebührenautomat nicht zu finden. Dann gibt ein Wort das andere und Elle verschwindet in der Dunkelheit, um weiter zu suchen und ich beschließe, mit dem Zug nach Hause zu fahren. Zwei Stunden und zwei (selbstgebastelte) Gin Tonic später plus die Tatsache, dass Elle den Automaten gefunden hat, beschließen wir, die Umstände zu nehmen, wie sie kommen. If you can‘t beat them, join them.

Der nächste Morgen bringt neue Erkenntnisse. Die Mücken (vielmehr etwas, das so aussieht, aber friedlich ist, nicht sticht und den Unmengen an Schwalben als Futter dient) sind schneller im Bus, als man die Tür zuschlagen kann, das Städtchen ist sehr beschaulich und Smørrebrød ist nicht – wie angenommen – trockenes Knäckebrot, sondern es handelt sich um üppig belegte Vollkornbrotscheiben. Partyhäppchen deluxe und in größer. Mein Tag ist gerettet – dass die Seitentür vom Bus mal wieder nicht abzuschließen ist, geschenkt. Vor allem aber sind wir die Campingplatzfrage los (teuer), weil die meisten Häfen Stellplätze für Womos anbieten (günstiger), mit Strom und Zugang zu Dusche und Toilette. Und Häfen gib es schließlich genug.

Die Attraktion von Møn ist die Westküste mit den steil aufsteigenden Kreidefelsen, die schauen wir uns selbstredend an. Vom topp Besucherzentrum führt die längste Treppe Dänemarks hinunter zum Strand, etwa 2 km am Strand entlang nördlich führt eine nächste wieder hinauf (oder umgekehrt). Diese ist allerdings einsturzgefährdet und deswegen gesperrt, danke für keinen Hinweis. Und während wir noch überlegen, ob vor oder zurück, achte ich nicht auf die Wellen und habe auch gleich noch nasse Füße. Wir entscheiden für vor – getreu unseres Mottos forward ever, backwar never –, übersteigen todesmutig die Sperre an der Treppe und hoffen, dass wir uns nicht die Beine brechen oder – viel schlimmer – erwischt werden. Wir werden zwar nicht direkt erwischt, dafür ist der Empfang oben am gesperrten Treppenabgang spektakulär. Etwa 30 Karatekämpfer*innen (first Gendersternchen by the way) aller Altersgruppen in kreideweißem Outfit haben sich am oberen Ende versammelt, vermutlich, um die Treppe nach unten zu nehmen – oder uns einen Denkzettel zu verpassen. Sie machen seltsame Rufe 'huss, huss', wir gehen weiter, werden nicht angegriffen, war wohl kein Kampfschrei, seltsames Dänemark.

Bei der Ausfahrt kennt der Bezahlautomat unser Nummernschild und Elle fühlt sich seit dem von allen Schranken und Parkplätzen überwacht, nur gut, dann würde auch jemand mitkriegen, wenn unser Bus (remember, nicht schließende Seitentür) geklaut wird. Um ein wenig Struktur in die Reise zu kriegen, schlage ich vor, ab jetzt alle Stellplätze an kleinen Häfen anzufahren, die Richtung Kopenhagen liegen und so laufen wir (wir sind ja jetzt Road Skipper) am späten Nachmittag im Hafen von Præsto ein und ankern in der ersten Reihe, direkt am Wasser, very nice. Es ist nur noch bedeckt und etwas windig und so langsam kehrt bei mir eine behagliche Routine ein. Strom legen, Lüftungsbleche einbauen, Ausgleichskeile unterlegen, Wasser nachfüllen und den Innenraum zum Wohnzimmer umbauen. Ankommen. Später im Restaurant gibt es bei (endlich) Fish & Chips Einiges zu sehen. Zum einen funktioniert direkt vor unserem Tisch eine Dixieband ihren Wohnwagen zur Bühne um, während drinnen im hinteren Bereich des Restaurants eine Feiergesellschaft langsam in die Gänge kommt. Die Band ist, positiv ausgedrückt, richtig schlecht, aber stoisch ob der vorbeitröpfelnden Besucher. Die kleine und stark aus der Form geratene (vermutlich) Schwester des Geburtstagskinds saust im lila Polyester-Chiffon-Ballerinakleidchen erst publikumsheischend mit dem Roller auf und ab, um dann selig vor der Band zu tanzen (oder so was Ähnliches). Währenddessen hat sich die Gesellschaft, das Buffet links liegend lassend, draußen um die Hot Dog Bude versammelt und feiert dort weiter. Seltsames Dänemark.

Rødvig wird unser Dritter und – ich kann das schon verraten – vorerst letzte Hafen. Hier hat es sogar eine Werft mit einigen Schiffen, an denen gemächlich gebastelt wird. Es gibt eine Fischauktionshalle und fast sogar eine Kaschemme. Am Pier liegen einige Fischerboote und ich prognostiziere, dass morgen in aller Herrgottsfrühe die kleine Armada in See stechen und wir deswegen eine kurze Nacht haben werden.

Bis zum Abend haben sich mehrere Wohnmobile zu uns gesellt. Mit den Schweden links von uns kommen wir ins Gespräch, sie wollen 5 Tage bleiben und richten sich schon mal häuslich ein. Wir finden es zwar auch nett, aber Urlaub mitten im Hafen finde ich eine amtliche Ansage, Respekt. Nebenbei erfahren wir, dass der Sohn Schlagzeuger (Papa trommelte früher bei den Spotniks) einer angesagten Hardcore-Band ist, die wir zwar nicht kennen, aber die gerade in Deutschland tourt. Und nein, sie besuchen keins der Konzerte, werden zwar kurz über die Grenze schauen – dann wohl, wie wir vermuten, nur zum (Alk) shoppen.

Jetzt schnell hinauf zu den nächsten Kreidefelsen, auch hier hat die Kommune einen Trampelpfad zu einigen Sehenswürdigkeiten angelegt. Der Weg geht oben entlang und nach etwa 2 km kann man ein altes Kalkwerk besichtigen, nebst gigantischer Pyramide, in der der Kalk gelagert wurde. 1 km weiter thront ein stattliches Geschütz auf der Klippe, mit diesem sollten zur Zeit des kalten Krieges die Gewässer vor Dänemark geschützt werden, im Felsen darunter liegt eine unterirdische riesige aufgegebene Militärbasis. Mir gefallen die langhaarigen Rinder auf der Weide nebenan besser.

Zur Rückkehr ist es dunkel, wir haben nix zu kochen, die Restaurants haben bereits zu, aber in der fast Kaschemme gibt es Pizza, die erstaunlich gut gerät und so geht der Tag unter strahlend hellen Hafenlaternen (und der angelassenen Neonröhre des Nachbarcampers, danke dafür) seinem Ende entgegen.

Der morgendliche Trubel fällt aus, weil kein einziges Schiff ausläuft, die riesige Jacht, die abends noch festgemacht hatte, ist auch lautlos verschwunden. Nur an einem wirklich vergammelten Fischkutter wird liebevoll und lautstark den Tag über gewerkelt, sonst könnte man wirklich glatt vergessen, in einem Hafen zu sein.

Im hinteren Hafenbereich gib es noch mehr Stellplätze und weil sich mittlerweile alle vorne am Pier drängeln, ziehen wir um. Hier stehen wir alleine, der feine Sandstrand liegt gleich nebenan und der Badeurlaub kann beginnen. Es ist eine Zaungast-Win-Win Situation. Wir werden, da wir alle Türen auf haben, von Vorbeikommenden neugierig betrachtet und wir können beobachten, wie sich das Strandleben den Tag über entwickelt. Ganz früh kurz nach Sonnenaufgang kommen ältere Herren in weißen Bademänteln vom Hotel oberhalb herunter, um todesverächtlich ins aaskalte Meer zu steigen, dann die ersten Herrschaften, die ihre Hunde ausführen, es folgen Schulklassen, die Kajakfahren oder Surfen lernen und ein Betrieb veranstaltet einen Mitarbeiter-Team-Event. Dann ist Mittagspause. Jetzt beginnt Elle mit serious sunbathing, keine fünf Meter vom Bus entfernt.

Gegen zwei trudeln die Ersten zur Nachmittagsruhe an den Strand. Elle lernt eine Schriftstellerin kennen, die gerne ihren neuen Roman zum Thema Lebensborn in Deutschland veröffentlichen würde, Charlotte Blay, die gerade vom täglichen Schwimmen zurückschlendert und schon fürchtete, jemand wäre ertrunken, weil Elles (mittlerweile wieder im Bus, weil bewölkt) Strandtuch so verwaist schien. Und ich? Ich mäandere durch den Ort und schaue, was der Supermarkt zu bieten hat. Inzwischen hat vor den Toiletten eine kleine Baustelle eröffnet und ein winziger Bagger baggert ein Loch, weil offensichtlich Leitungen repariert werden müssen. Außerdem kommen den ganzen Tag Autos 2 m vor dem Bus vorbei, um zu schauen, ob der Strand noch da ist, stoppen kurz, vergewissern sich und fahren weiter. Klingt nicht sehr erholsam, ist es aber und deswegen hängen wir noch eine Nacht dran. Fast sogar eine weitere, aber dann wird uns der Schotter mit seinen kontrollefahrenden Kleinwägen zu laut, ich dränge zum Aufbruch und habe auch schon einen Platz im Auge, am Bolmen gelegen, einem großen See in Schweden, etwa 4 Autostunden entfernt.

(Es gibt hier nicht die sonst übliche Fotogalerie, da zu allen hier genannten Plätzen eigene Einträge folgen, bei denen wiederum die Fotos in Galerien zu sehen sind.)

Schreibe einen Kommentar